„Guck mal, was meine Mutter mir weitergeleitet hat“, sagt die neue Kollegin. Ute beugt ihren roten Schopf über das hingehaltene Handy. „Liebe Angelika“, steht da. „Welche geilen Wünsche kann ich Dir heute erfüllen? Dein ....“
„Nein, oder? Der unfreundliche Knilch aus der oberen Etage!“
„Und Ledertangas soll er tragen“, kichert die neue Kollegin.
„Hihihi“, sagt Ute.
Würde sie Shakespeare kennen, Machiavelli, Schopenhauer, wüsste sie, was das Stündlein geschlagen hat: Kein Midlife-Crisis geschüttelter Mittvierziger kann den knackigen Angelikas dieser Stadt jetzt noch mit zitternden Fingern SMS schreiben. Wie kann er sicher sein, dass sein ausgefeiltes Eroticon nicht an interessierte Freundinnen weitergeleitet werden, die sie interessierten Töchtern weiterleiten, die sie interessierten Kolleginnen zeigen, die davon interessierten Bekannten erzählen?
Ein bisschen leid tut der unfreundliche Knilch der rundlichen Ute schon. Wenn die Weiterleitung in dem Tempo weitergeht, hat bald seine 12-jährige Tocher die SMS auf dem Handy. Andererseits, hält Ute Schopenhauer und Shakespeare entgegen, selbst dann wird die Sache irgendwann in Vergessenheit geraten. Wie alles in dieser Behörde. „Ach ja“, seufzt Ute und wendet sich wieder dem Bildschirm zu.
Flimmerstunde - 20. Mär, 14:45
Frauen – erdverbunden? Pah! Wasservebunden ist Ute, seit ihre beste Freundin schwanger ist. Schwanger, gemeinsame Wohnung, Kinderbettchen, Familienausflüge. Ein Rundes, ein Ganzes, in dem eine alleinstehende Freundin mit Gewichtsproblemen keinen Platz mehr hat.
Nun, sagt sich Ute, bin ich wohl ganz allein. Knüllt das Taschentuch in ihrer Hand, starrt aus dem Fenster. Rechnet sich aus, wieviel Zeit ihr noch bleibt. Mit fünfunddreißig resignieren die alleinstehenden Frauen. Schaffen sich Pudel oder Kanarienvögel an. Ute will keinen Kanarienvogel. Der arme Vogel, in dieser kleinen Bude hier.
Ute kennt Freundinnen, die bis siebenundzwanzig nie einen festen Freund hatten, jetzt mit Kind im Eigenheim sitzen. Ute kennt Freundinnen, die aller drei Jahre einen neuen Freund hatten. Flatterhafte Geschöpfe, die ihr Kind nun in riesigen Altbauwohnungen großziehen. Und dann die Frauen wie sie, die als Geliebte, Fernbeziehungen, Psychodramen ewig warten und doch nie die Erste werden. Warum nur, warum ausgerechnet Ute? Ist das Charakter? Gibt es einen Tag, an dem man selbst eine Weiche stellt und das Schicksal unabwendbar nur noch diese Schiene entlangdampft?
Ute guckt ihr verheultes Spiegelbild im Fenster an. Hat sich immer ein bisschen schöner, schlanker und witziger gefunden, als sie tatsächlich ist. Hat einen bestimmten Mann zur Liebe ihres Lebens erklärt, der sich dieses romantische dicke Mädchen lieber nicht in vierzig Jahren vorstellen wollte. Hat alle anderen Männer abblitzen lassen. Wie den Bauchkollermann. Der meldet sich auch nicht mehr. Ach Ute, ach Ute.
Flimmerstunde - 3. Mär, 16:21
Die rundliche Ute will Ordnung in ihr Leben bringen und abnehmen. Leistet sich beim Thai-Imbiss im Nachbarhaus deshalb eine Enten-Gemüse-Suppe für 3,30 Euro.
„Möchte Plamwa?“, fragt der Kellner.
„Nein“, sagt Ute mannhaft. „Keinen Alkohol heute.“
Gibt sogar 20 Cent Trinkgeld, obwohl sie gleich wieder geht. Bekommt einen Glückskeks mit einer kryptischen Weissagung. Grübelt beim Suppenachhausebalancieren. Bedeutet „Ein steigender ITC Anteil bringt Dir an der Börse Glück“, dass überhaupt niemals Liebe in ihrem Leben sein wird?
Flimmerstunde - 24. Feb, 18:06
Ute hat frei. Ausschlafen! Doch vorm Fenster brummt und kracht es. Ute ratscht den Vorhang auf.
Drei Männer mit Motorsägen starren ins Zimmer. Utchen rafft instinktiv ihr Nachthemd über der Brust zusammen. Die Männer starren weiter.
Sehen ein großes einsames Bett. So einsam, dass sich Ute vor drei Wochen sogar eine hundsteure Entendaunendecke geleistet hat, damit sie nachts nicht so friert. Sehen die Rotweinflecken auf dem Teppich. Die vielen Cremetiegelchen auf dem Nachttisch. Den Schrank von der Oma. Das etwas schiefe, selbst zusammengeschraubte Regal aus dem Baumarkt. Alles, was sich in der Hoffnung auf Glamour und Glück im Laufe der Jahre angesammelt hat.
Ute ratscht den Vorhang wieder zu. Scheiß Baumpflegearbeiten.
Utchen, warum hast Du so böse geguckt? Hättest Du nicht ein bisschen mit dem Nachthemdchen winken können? Vielleicht wäre es noch lustig geworden. Drei Männer mit Motorsägen stürzen in die Tiefe. Oder schneiden sich unvermutet hervorwachsende Körperteile ab.
Bin erwachsen, brummt Ute; und geht Kaffee kochen für einen leeren Tag.
Flimmerstunde - 22. Feb, 11:09
Auf und ab, auf und ab. Die rundliche Ute schlingert durch die Wohnung, ihre roten Möchtegernlocken wippen. Utchen, was ist Dir?
Bauchkoller, klagt Ute.
Ja, der berühmte Bauchkoller. Kam doch einer vor drei Tagen und hat unser Utchen angeblinkert. Hat das Utchen zum Essen ausgeführt, sie auf der städtischen Brücke geküsst und in sein Haus vor den Kamin gelockt. Dahin, wo Utchens Locken im warmen Licht feurig wallten und wogten, so wie überhaupt alles an ihr wallte und bebte. Ein Mann, ein Mann. Der erste nach wasweißich wievielen Jahren.
Na, und nu?
Angerufen hat er danach, schon. Aber Utchen hatte ihm gar nichts zu sagen, sagt sie. Außerdem hat er zwei halberwachsene Kinder und eine Freundin.
Ähemm, Uteschatz, ist das der Richtige für Dich? Der, den Du Deiner strengen Mutter vorstellst?
Weiß nicht. Riecht so gut.
Liebes Utchen, genau dieser Satz hat die Menschheit schon millionenfach ins Verderben gestürzt. Helena, Maria Stuart, Nancy, Mandy, Emmanuela. Willst auch Du stürzen?
Weiß ja gar nicht, ob ich ihn wiedersehen will.
Ach Ute, so wird das nie was mit der Liebe. Stürze lieber. Dann passiert wenigstens etwas im Leben. Und wir werden sehen, was.
Flimmerstunde - 21. Feb, 14:54